Stadtkirche Waltershausen "Zur Gotteshilfe"
Vorläufer von George Bährs Dresdner Frauenkirche
Besuchen Sie Thüringens frühesten barocken Zentralbau mit der größten Orgel der Bachzeit!
Lage
Die rund 12.000 Einwohner zählende Stadt Waltershausen liegt im Süden des Landkreises Gotha, am Nordhang des Thüringer Waldes, an der alten Waldstraße nach Breitungen sowie der Waldsaumstraße (B 88) und ist heute vor allem von der Industrie geprägt (Gummiverarbeitung und Spezialfahrzeuge). Die alte Landgrafenstadt (seit 1176) birgt neben dem sehenswerten Schloss Tenneberg (Heimatmuseum) ein barockes Juwel, das fast die ganze Nordseite des Marktplatzes einnimmt: die Evangelisch-Lutherische Stadtkirche „Zur Gotteshilfe“.
Bedeutung
Die Waltershäuser Stadtkirche „Zur Gotteshilfe“, Thüringens erster großer barocker Zentralkirchenbau, gilt in Grundrissausbildung und Bauausführung als Vorläufer der 1726 bis 1738 von George Bähr in Dresden errichteten Frauenkirche. (Dehio)
Zentralbauten spielten in der barocken Sakralarchitektur eine wichtige Rolle, denn sie eigneten sich besonders gut, eine Korrespondenz zwischen dem inneren Raum der Liturgie und der äußeren Erscheinung als kultisches Monument darzustellen. Der von Wolf Christoph Zorn v. Plobsheim errichtete Kirchenbau stand „auf der Höhe der Zeit“ und übertraf „in Anlage und Ausführung alle vorangegangenen Bemühungen um den Zentralbau in Thüringen“, ja er gilt heute als bedeutendster protestantischer Zentralbau in Thüringen überhaupt, in dessen Innerem die Überlegungen des Architekturtheoretikers Leonhard Christoph Sturm in die Tat umgesetzt wurden. Zu den Forderungen Sturms gehörte beispielsweise, dass der Geistliche beim Vollzug des Gottesdienstes der Gemeinde zugewandt sein sollte. Auch sollten die äußersten Plätze von der Kanzel, als Zentrum der evangelischen Predigtkirche, gleichweit entfernt sein. Am Ende entstand ein Innenraum dessen elliptischem Schwung die Anordnung des Gestühls auf den Emporen folgte, in den die Stellung von Altar, Kanzel und Orgel einbezogen wurde, und in dem die Bewegung der Linien keine Unterbrechung erfuhr. So konnte die dort herrschende, starke Dynamik für die Hinführung zum Sakrament nutzbar gemacht werden.
Die Waltershäuser Kirche erfüllte eine Doppelfunktion und diente neben der Tenneberger Schlosskapelle als Stadt- und Residenzkirche. Das Hauptcharakteristikum der Waltershäuser Residenzkirche bildete der bis heute erhaltene zentrale Herrschaftsstand der ersten Empore mit seinem aufgemalten sächsisch-gothaischen Wappen, der seit der Reformation Ausdruck des neuen landesherrlichen Kirchenregiments war. Schließlich diente der über der Stadt gelegene Tenneberg lange Zeit als Jagdschloss und später als Witwensitz der Gothaer Herzöge.
Bauherr und Architekt
„Herzog, Oberkonsistorium und Baudirektor hatten in gegenseitigem Einvernehmen der Stadtgemeinde die Gestalt des Kirchenbaus vorgegeben“, der 1719 nach Plänen des herzoglich sachsen-gothaischen Baudirektors Wolf Christoph Zorn v. Plobsheim begonnen, nach dessen Tod am 9. August 1721 von seinem „vicarius“ (Stellvertreter) Johann Erhard Straßburger (1675-1754) und dem Oberbaudirektor Wurm nach Zorns Plänen fortgeführt und 1723 vollendet wurde.
Die Stadtkirche Waltershausen ist eine von rund 20 Kirchen, die unter Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1691-1732) nach dem Dreißigjährigen Krieg im Gothaer Land neu errichtet wurden. Friedrich, der noch einmal ebenso viele Gotteshäuser umbauen ließ, setzte die Politik seines Großvaters Ernsts des Frommen im Bereich des Sozialwesens fort und leistete mit der Weiterführung der von Ernst dem Frommen begründeten „General- und Spezialvisitation“ der Kirchen und Schulen seines Herzogtums einen wesentlichen Beitrag zur Konsolidierung des Kirchenwesens. Sein besonderes Interesse galt dem Kirchenbau, den er durch die Prägung von Gedenkmünzen und Medaillen dokumentieren ließ.
Baugeschichte
Nach der Grundsteinlegung am 9. Oktober 1719 durch den Tenneberger Amtmann Georg Christoph Röhn legte Herzog Friedrich II. am 8. November 1719 seinerseits den Eckstein zum Kirchenbau, der an Stelle einer einfachen, spätgotischen Hallenkirche errichtet wurde. Dieses Ereignis wurde ebenso durch eine Medaille dokumentiert, wie die feierliche Einweihung der Kirche am 24. November 1723 „in Beyseyn der Landesherrschaft, des Hofstaates, der Hofgeistlichkeit und sämmtlicher Prediger der Diöces Waltershausen.“
Der älteste Teil des heutigen Waltershäuser Gotteshauses ist die untere Hälfte des Kirchturms der mittelalterlichen Marienkirche aus dem Jahre 1458, der in den Neubau mit einbezogen werden musste.
Während Zorn v. Plobsheim die Pläne entwickelte, versah Johann Erhard Straßburger die Bauaufsicht vor Ort. Bereits am 19. Dezember 1720 konnte der Richtstrauß auf die Laterne des Kirchenschiffs gesetzt werden. Da sie letztlich nicht gefiel, wurde sie 1722 wieder abgenommen und durch die heutige glockenförmige ersetzt. Der Oberteil des Kirchturms erhielt nach dem Brand von 1865 bis 1869 durch Baumeister Beauregard eine neue Gestalt. Sie wurde dem barocken Vorbild Plobsheims, das ehedem nicht ausgeführt worden war, angenähert.
Das Äußere
Das imposante Kirchenschiff aus heimischem grau-rotem Bundsandstein wird aus einem 22,5 m großen Quadrat (Innenmaß) mit gekehlten, konkav einschwingenden Ecken gebildet, an das im Osten und Westen Risalite zur Aufnahme der Treppenhäuser angefügt sind. Sie verleihen der Kirche die Gestalt eines kurzflügeligen griechischen Kreuzes. Die Risalite der Nord- und Südseite dagegen sind flach ausgeführt. Besonders hervorgehoben ist die ‚festlich-feierliche Südseite’, die dem Markt zugewandt ist. Vier Portale führen ins Innere.
Der Innenraum
Der Innenraum des 1200 Menschen Platz bietenden Gotteshauses ist als protestantische Predigtkirche mit acht kräftigen Holzpfeilern und dreigeschossigen Emporen ausgebildet und reich gestaltet.
Das in West-Ost-Richtung liegende Gotteshaus wird vom Kanzelaltar mit der darüber liegenden Orgel beherrscht. Die 1994/95 freigelegte Ausmalung der dreigeschossigen Emporen von 1759 spiegelt heute den Erbauungszustand des 18. Jahrhunderts ebenso wider wie das figuren- und farbenreiche Deckenfresko des gothaischen Hofmalers Johann Heinrich Ritter (1685/90-1751) von 1723.
Ausmalung
Das in illusionistischer Architekturmalerei gestaltete Deckengemälde liegt bereits im Mansardengeschoss des Kirchenbaues und setzt die reale Raumgliederung bis in die als Flachdecke ausgeführte Scheinkuppel fort.
Im Zentrum die Heilige Dreifaltigkeit, die von den Allegorien Glaube, Liebe, Hoffnung, Treue, Klugheit, Standhaftigkeit, Mäßigkeit und Geduld umsäumt wird. Die Frauenfiguren halten Kartuschen mit den Seligpreisungen der Bergpredigt (Matth. 5-7).
Orgel
Ein Höhepunkt des Innenraumes bildet die, den Raum beherrschende, ab 1722 von Tobias Heinrich Gottfried Trost (um 1680-1759) geschaffene Orgel, die als die „bedeutendste und größte Orgel aus der Bachzeit in Thüringen“ gilt. Trost, der innerhalb des mitteldeutschen Orgelbaues als ‚bedeutendster Neurer’ und ‚Avantgardist’ galt, war zugleich der bedeutendste thüringische Orgelbauer zur Zeit Johann Sebastian Bachs.
Die Waltershäuser Orgel ist ein Instrument der Superlative, verfügt sie doch über drei Manuale, 53 klingende Register und 2806 Pfeifen. Das Besondere: etwa 70 Prozent der Pfeifen und nahezu die gesamte Spielanlage sind im Original erhalten. Dabei hatte Trost 1722 nur den Auftrag für ein zweimanualiges Instrument erhalten. Nach einer Reise nach Freiberg im gleichen Jahr scheint er an der Größe der Silbermannschen Domorgel Gefallen gefunden zu haben, so dass er sich offenbar entschloss auch das Waltershäuser Werk zu vergrößern. Das brachte ihm den Ärger der für den Bau Verantwortlichen ein, die Trost lieber „in arrest nehmen und an den Galgen hängen“ wollten. So etwa musste die Empore abgesenkt werden, um das größere, 8,30 Meter hohe und 8,80 Meter breite Werk aufnehmen zu können. Bis 1730 ist Trost in Waltershausen nachweisbar, doch erst im Mai 1741 konnte das Werk vollendet werden, das heute neben seiner außerordentlichen Größe vor allem durch Trosts ausgefallene Konzeption besticht. Außerdem weist es alle Merkmale auf, die den Thüringischen Orgelbau zu Beginn des 18. Jahrhunderts prägten. Trosts spezifischer Baustil mit einer Betonung der Grundtönigkeit und Gravität, Transmissionsregister vom Hauptwerk ins Pedal sowie ausgefallene Registerbauarten neben bodenständigen Stimmen hat zur Besonderheit dieses Werkes entscheidend beigetragen.